Hr. Prof. Dr. Dirk Richter beschreibt in seinem Buch „Menschenrechte in der Psychiatrie – Prinzipien und Perspektiven einer Unterstützung ohne Zwang“ gekonnt und klärend, dass Psychiatrien ihre eigenen ethischen und medizinischen Kriterien für Zwangsmaßnahmen nicht erfüllen. Stattdessen folgen sie traditionellen Vorstellungen und einer staatlich übertragenen Ordnungsfunktion.
Herr Richter illustriert anhand der Forderungen der UN-BRK und WHO für eine zwangsfreie Psychiatrie das ethische Dilemma von Zwangsmaßnahmen. Er zeigt auf, dass psychische Krankheiten sich nicht eindeutig von gesunden Zuständen abgrenzen lassen und daher keinen legitimen Grund für Zwangsmaßnahmen darstellen können. Hr. Richter verdeutlicht, dass die von der UN-BRK und WHO formulierten Positionen nicht mehr mit dem traditionellen medizinisch-psychiatrischen Selbstverständnis vereinbar sind. Die Ziele der UN-BRK und WHO sollen als Leitfaden für die Umsetzung einer zeitgemäßen Psychiatrie im Sinne einer psychosozialen Unterstützung gelesen werden.
Im Buch werden auch Gegenargumente zu einer zwangsfreien Behandlung diskutiert, vor allem, was die Entscheidungsfähigkeit von Menschen mit psychosozialen Problemen betrifft. Zu dieser Thematik wird auch auf die Sterbehilfe eingegangen. Des Weiteren beschreibt Hr. Richter in seinem Buch, dass die ethische Diskussion über Zwangsmaßnahmen in einer Sackgasse steckt. Er ist der Meinung, dass Argumente wie Menschenwürde und das Wohl der Person sowohl für als auch gegen Zwang sprechen. Deshalb sollen Studien und Daten klären, ob Zwang wirklich dem Wohl der Betroffenen dient. Diesbezüglich zeigt Hr. Richter auf, dass die ethischen Überlegungen zu den psychiatrischen Zwangsmaßnahmen wenig durch empirische Forschung gestützt werden. Diese Maßnahmen dienen überwiegend nicht dem Wohl der Betroffenen und werden oft nicht als letztes Mittel oder minimalinvasiv eingesetzt. In den Versorgungssystemen gibt es häufig mehr Optionen, als umgesetzt werden. Die Wirksamkeit psychiatrischer Therapien im Allgemeinen und unter Zwang steht stark infrage. Ebenso zweifelhaft ist die Annahme, dass Zwang die Autonomie der Betroffenen wiederherstellen kann. Die Forschung kann bis heute keine validen und reliablen Kriterien für die Krankheitsbilder wie sie im DSM und ICD klassifiziert werden benennen, deshalb spricht Hr. Richter bei psychischen Phänomenen von soziokulturellen Konstrukten. Da der aktuelle Forschungsstand nicht genau sagen kann, was eine psychische Störung ist und wir nicht einmal die Existenz der menschlichen Psyche nachweisen können, entfällt seiner Überzeugung nach, ein wesentliches Argument für die Rechtfertigung von Zwangsmaßnahmen. In weiter Folge hebt Hr. Richter hervor das Betroffene bestmöglich selbst entscheiden sollen, ob sie sich als krank einschätzen oder nicht. Am Ende des Buches stellt Hr. Richter unter anderem das Spektrenmodell der neurokognitiven Diversität vor, welches maßgeblich zur Entstigmatisierung psychosozialer Probleme beitragen kann und zugleich medizinische Perspektiven mit Betroffenensichtweisen integrieren. Dies würde einen bedeutenden Schritt hin zu einer menschenrechtsbasierten Unterstützung darstellen.
Herr Richter bietet fundierte wissenschaftliche Antworten für Leser_innen, die sich mit einer menschenrechtsbasierten und zwangsfreien Psychiatrie auseinandersetzen möchten. Seine Ansichten und Ideen treffen den Nerv des aktuellen Psychiatriediskurs.
Richter, Dirk (2024): Menschenrechte in der Psychiatrie. Prinzipien und Perspektiven einer psychosozialen Unterstützung ohne Zwang. 1. Auflage. Köln: Psychiatrie Verlag
Das Buch ist gratis als PDF abrufbar: https://psychiatrie-verlag.de/product/menschenrechte-in-der-psychiatrie-ebook-pdf/